Bunte Mauer - Einheit in der Vielfalt

Von Franz Warnung - dieser Artikel erschien auch in der Kleinen Zeitung

Mehr als eine Mauer. Träger einer Botschaft: "Einheit in der Vielfalt." Mauern sind zumeist Begrenzungen. Mauern können trennen. Man kann über Mauern schauen,  und man kann auch Mauern überwinden. Es gibt auch unsichtbare Mauern, die zwischen Menschen errichtet werden, durch Vorurteile, durch Abneigung, durch Hass und Angst. Es ist vielleicht  ein Zufall, dass 40 befreundete Menschen aus 14 Nationen an jenem Samstag, dem 7. Oktober dieses Jahres diese "Mauer des Friedens" mit Blumen und einem Regenbogen bemalten und der Öffentlichkeit von Oberwart übergeben haben. Sie möchte mehr sein, ein Ausdruck von Freude an der gemeinsamen Arbeit, ein Zeichen von Leben und Wachstum. Zierde für eine sonst kahle Begrenzungsmauer von einem Parkplatz. Die Akteure waren Kinder und Jugendliche aus der Region, die sich auch sonst während des ganzen Jahres wöchentlich einmal zusammenfinden, um in ihrem Charakter gemeinsam zu wachsen und Tugenden  sowie Kunstfertigkeiten einzuüben. Die Bemalung dieser Mauer ist eine der sozialen Aktivitäten und Dienstbarkeiten, welche auch im Jahresprogramm dieser Kinder und Jugendlichen verankert sind.  Gedanken wie Perlen -  Worte wie Diamanten - und Sätze wie Schätze - wie dieser bedeutsame Satz:  "Unity in Diversity". Er bezieht sich auf den Gedanken der Einheit unter den Völkern und Nationen der Welt. Wie der bekannte burgenländische Kunstschaffende Peter Wagner uns vermittelte, leben im Burgenland Menschen aus 130 Nationen, die in Frieden miteinander leben und arbeiten wollen. Auch sie meinte diese Gemeinschaftsarbeit an jenem Samstag. 

“Die Welt ist ein unüberschaubares Gefüge sinnvoller Bezüge" (Martin Haidegger). Wenn die große gemeinsame Mitte, aus der alle tiefes menschliches Wissen und Lebensweisheit schöpfen, entdeckt wird, ist es vorstellbar, dass die Welt in ihrer Vielfalt die Eintracht verwirklicht und als Fernziel die Einheit erreicht. Es gibt in jedem Land diese verheißungsvolle Erwartung. Friede ist heute nicht nur möglich, sondern unumgänglich. Es ist ein zentrales Thema in allen Schulen und sozialen Einrichtungen. Im Paragraph 2 des Schulorganisationsgesetzes steht sinngemäß der Satz: "Die Lehrer sind verpflichtet, den Kindern das Wahre, das Gute und das Schöne zu vermitteln."  Diese drei Attribute gehen bis in die griechische Antike zurück und haben an Aktualität bis heute nichts verloren. Verwirklicher diese Idee können nur einzelne Menschen sein, die eine gedankliche Haltung wie diese in ihr Alltagsleben einfließen lassen. Jeder Einzelne ist Teil dieser breiten Basis, auf der letzten Endes die große Einheit in der Vielfalt errichtet  werden kann. Ein Grazer Architekt namens Herbert Eichholzer, der von Ideen wie dieser schon 1940 überzeugt war, schrieb an den Sekretär der Grazer Sezession Gustav Scheiger - kurz vor seiner Hinrichtung -  einen  Brief. Ein zentraler Abschnitt daraus: "Jetzt geht es wohl dem Ende zu. Du musst nicht denken, dass das eine solche Nervenprobe für mich ist. Man schließt mit dem Bewegten ab und bleibt beim ruhenden Pol, in der Erscheinungen Flucht. Die einen nennen es Gott,  die anderen Idee. Das Bewusstsein der großen Einheit, aus der alle Vielfalt kommt, in die sie zurückkehrt. Und wenn einmal auch bei uns - das was wir wollten - anklingt, wenn die Saat aufgegangen und die Früchte sichtbar sein werden, dann lieber Gustav und die anderen, denkt an euren Herbert.” 

So gesehen ist diese Mauer in gewissem Sinne auch ein Denkmal an diesen mutigen Widerstandskämpfer und Visionär - kurz bevor der zweite Weltkrieg endete. Die italienische Dichterin Luise Rinser hat geschrieben: "Es steht zu hoffen, dass sich die Jugend der Welt bald zu gut versteht, um sich noch in Kriege hetzen zu lassen." Wie wir sehen, sind mancherorts immer noch Kriegsgedanken und Hass stärker als Friedensbemühungen. Möge diese Mauer nicht nur eine Parkplatzbegrenzung sein, sondern eine stille Botschafterin für diesen Friedensgedanken: "UNITY IN DIVERSITY".